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Bürgschaftsvertrag – Bürgschaftsurkunde – Enthaftungserklärung

Bürgschaften von Kautionsversicherern und Banken spielen im produzierenden Gewerbe zur Besicherung von Forderungen eine große Rolle. Trotz der quantitativen Verbreitung bestehen in vielen Unternehmen Unsicherheiten in Bezug auf den Umgang mit solchen Bürgschaften. Besonders um das Original der Bürgschaftsurkunde werden oftmals unnötige Kleinkriege mit Lieferanten und Kunden geführt. Die nachfolgende kleine Geschichte soll die wesentlichen Vor- und Nachteile im Umgang mit Bürgschaften anhand eines Beispiels aus dem Alltag erläutern:

Betriebswirt Hans Protz hat in den letzten 20 Jahren mit Hilfe seiner vor einem Jahr gegen ein deutlich jüngeres Modell ausgetauschten ehemaligen Ehefrau aus der kleinen Dreherei seines Vaters ein florierendes Unternehmen mit 50 Mitarbeitern im Bereich der Zerspannungstechnik gemacht. Die Umsätze sind stabil, branchenbedingt sind die Margen jedoch dünn. Es besteht wenig Spielraum für unvorhergesehene Ereignisse. Vor acht Jahren konnte ein repräsentatives Bürogebäude mit einem Architekten-Dach durch Ausreizen aller finanziellen Spielräume errichtet werden. Der Kredit war seinerzeit nur genehmigt worden, da das extrem teure Dach mit einer zehnjährigen Gewährleistungszeit errichtet und einer entsprechenden Gewährleistungsbürgschaft eines großen Kautionsversicherers abgesichert worden war. Der Dachdecker ist allerdings mittlerweile pleite. Kurz gesagt, es läuft nicht rund für Hans Protz.

Dass mit seiner ehemaligen Ehefrau als damaliger Leiterin des kaufmännischen Bereichs auch einige Urkunden verschwunden waren, hatte Hans Protz bislang als irrelevant eingestuft.

Aufgrund eines Fehlers des Dachdeckers bei der Errichtung hatte leider der Sturm der letzten Nacht fast das komplette Dach des repräsentativen Bürogebäudes weggefegt. Gelder von der Gebäudeversicherung waren nicht zu erwarten, da Hans Protz zum Einsparen von Kosten aufgrund der Gewährleistungsbürgschaften der Bauhandwerker auf einen ausreichenden Versicherungsschutz verzichtet hatte.

Als Hans Protz nun die Bürgschaftszusage des Kautionsversicherers in Anspruch nehmen wollte, teilte ihm seine neue Finanzchefin in Person der neuen Ehefrau mit, dass im betreffenden Ordner lediglich ein Zettel mit einem in Großbuchstaben geschriebenen „Ätsch“ zu finden sei. Es sei keine Bürgschaftsurkunde da.

In Erinnerung an sein betriebswirtschaftliches Studium geht Hans Protz davon aus, dass er ohne die Bürgschaftsurkunde keine Zahlung vom Kautionsversicherer erhalten wird.

Hans Protz ist sich bewusst, dass er beim Ausfallen der Bürgschaftszahlung für sein Unternehmen und sich selbst einen Insolvenzantrag stellen muss. Seine luxusorientierte zweite Ehefrau wird diesen Zustand nicht allzu lange dulden.

Er greift zum Hörer und ruft seinen Rechtsanwalt Dr. Gläubig an und fragt, ob dieser zum Insolvenzantrag raten oder eine andere Lösung für ihn haben wird. Nach dem Telefonat lädt Hans Protz seine zweite Ehefrau freudig zu einem teuren Essen ein.

Woher kommt die gute Laune, wenn doch in § 766 BGB steht, dass zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages die schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung erforderlich ist und Hans Protz diesen Nachweis über die Bürgschaftsurkunde gegenüber dem Bürgen führen müsse?

Die von Rechtsanwalt Dr. Gläubig erläuterte Lösung ist auch in Fachabteilungen von Unternehmen oftmals unbekannt, aber gar nicht so schwer. Banken und auch Kautionsversicherer sind immer Kaufleute im Sinne des Handelsgesetzbuches. Der Abschluss eines Bürgschaftsvertrages durch Banken und Kautionsversicherer ist für diese ein Handelsgeschäft nach § 343 HGB. Auf eine Bürgschaft in Form eines Handelsgeschäfts finden Formvorschriften des § 766 BGB nach § 350 HGB keine Anwendung. Beim Vorliegen der Voraussetzungen erhält der Bürgschaftsnehmer Geld vom kaufmännischen Bürgen auch dann, wenn er keine Bürgschaftsurkunde im Original beim Bürgen einreichen kann. Voraussetzung ist lediglich, dass der Abschluss eines Bürgschaftsvertrages z.B. durch eine Fotokopie, ein Fax oder im Notfall auch durch Zeugen (z.B. Kreditvermittler) nachgewiesen werden kann.

Die strengen Formvorschriften des § 766 BGB gelten nur für Bürgschaften von Verbrauchern oder Klein-Gewerbetreibenden. Nur bei diesem Personenkreis als Bürgen ist eine Zahlung nur gegen die Vorlage der Bürgschaftsurkunde im Original zu erwarten. In der Praxis des produzierenden Gewerbes taucht dieser Personenkreis als Bürge aber aufgrund des finanziellen Umfangs der zu besichernden Forderungen praktisch nicht auf.

Hans Protz ist nach dem Anruf bei seinem Rechtsanwalt Dr. Gläubig und dem opulenten Mittagessen mit seiner zweiten Ehefrau entspannt und energiegeladen. Darüber hinaus hat ihm der Kreditsachbearbeiter seiner Bank aus den Kreditunterlagen eine Kopie der Bürgschaftsurkunde zukommen lassen.

Voller Tatendrang ruft Hans Protz beim Kautionsversicherer an und will dort erfahren, wann und wie er an sein Geld kommt. Leider gerät Hans Protz an die neue Sachbearbeiterin Sabine Einfältig. Sie teilt ihm korrekterweise mit, dass in der letzten Zeile der Bürgschaftsurkunde ja stehen würde, dass das Bürgschaftsverhältnis mit dem Rücklauf der Bürgschaftsurkunde an den Kautionsversicherer erlischt; und die Bürgschaftsurkunde sei vor fast einem Jahr an den Kautionsversicherer zurückgelangt. Mangels Begleitschreiben geht die Sachbearbeiterin Sabine Einfältig davon aus, dass die Bürgschaftsurkunde in den Briefkasten des Kautionsversicherers, wie in vielen anderen Fällen, eingeworfen worden war und dann später auch entsprechend ausgebucht wurde. Sabine Einfältig teilt Hans Protz mit, dass er nicht mit einer Zahlung des Kautionsversicherers rechnen könne. Hans Protz weiß über seinen Sohn aus erster Ehe, dass seine Ex-Frau im in Frage kommenden Zeitraum einen Kurzurlaub am Sitz des Kautionsversicherers gemacht hatte und vermutet, dass diese die Bürgschaftsurkunde dem Kautionsversicherer zugeleitet hat. Den Ruin schon geistig vor Augen greift Hans Protz nochmals zum Telefon, um Rat von Rechtsanwalt Dr. Gläubig zu erhalten. Nach dem Auflegen lässt Hans Protz sich entspannt in seinen Sessel fallen, knüpft den obersten Knopf des Hemdes auf und atmet entspannt aus. Welche Antwort gab ihm Dr. Gläubig?

Der Bürgschaftsvertrag mit einem Kaufmann als Bürgen kommt, wie erläutert, formfrei zustande. Der kaufmännische Bürge wird daher erst entlastet, wenn der Gläubiger/Bürgschaftsnehmer eine entsprechende Enthaftungserklärung (aus bilanziellen Gründen schriftlich) abgibt und damit die Aufhebung des Bürgschaftsvertrages anbietet. Die in fast allen Bürgschaftsurkunden von Kautionsversicherern oder Banken enthaltene Klausel, dass das Bürgschaftsverhältnis mit dem Rücklauf der Urkunde endet, ist – es handelt sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung – vom Bundesgerichtshof für unwirksam erklärt worden. Sie widerspricht den Grundsätzen des § 350 HGB.

Hans Protz ruft wiederum beim Kautionsversicherer an und lässt sich von der Sachbearbeiterin Sabine Einfältig ohne große Umschweife deren Vorgesetzten ans Telefon geben. Dieser kennt die Problematik der entsprechende Klausel und sagt Hans Protz die Zahlung der Bürgschaftssumme beim Vorliegen der noch von einem Bau-Sachverständigen zu bestätigenden Voraussetzungen zu.

Berauscht von seinem Erfolg fährt Hans Protz mit seiner zweiten Ehefrau ins Autohaus und bestellt dort ein mit Sonderausstattungen versehenes schickes Cabrio eines Münchner Automobilherstellers zu einem sehr stattlichen Preis.

Gut gelaunt zurück im Büro erhält Hans Protz den Anruf eines Stahl-Händlers gegenüber dem er sich vor einiger Zeit zugunsten eines Geschäftsfreundes zum Aufrechterhalten seiner eigenen Produktion schriftlich verbürgt hatte. Der Geschäftsfreund hatte später seine Außenstände beim Stahl-Händler beglichen. Hans Protz hatte aufgrund der Auskunft seines Rechtswissenschaften studierenden Neffen, dass seine Bürgschaftsverpflichtung mit dem Erlöschen der Hauptforderung auch erlischt, die Angelegenheit aus den Augen verloren. Der Stahl-Händler teilte Hans Protz mit, dass sein Geschäftsfreund bekanntermaßen einen Insolvenzantrag gestellt hätte, dass der Insolvenzverwalter die Zahlung seines Geschäftsfreundes gegenüber dem Stahl-Händler wirksam angefochten habe und dieser nach Rücksprache mit seinem Rechtsanwalt die Zahlung dann an den Insolvenzverwalter zurückgeleistet habe. Hans Protz wies den Stahl-Händler darauf hin, dass seine Bürgschaftsverpflichtung ja durch die Zahlung der Hauptschuld durch seinen Geschäftsfreund vor einiger Zeit erloschen sei und fragte, wie der Stahl-Händler auf die Idee käme, dass er hier noch für die Zahlung einstehen müsse.

Der Stahl-Händler teilt mit, dass die Abhängigkeit der Verpflichtung des Bürgen von der Hauptschuld auch zur Folge habe, dass die Verpflichtung des Bürgen wieder auflebt, wenn die Hauptforderung durch Anfechtung wieder entsteht und der Bürgschaftsvertrag vorher nicht durch einen Aufhebungsvertrag (Enthaftungserklärung) erloschen sei.

Entspannt ruft Hans Protz bei Dr. Gläubig an, um sich bestätigen zu lassen, dass dies ja wohl nicht sein könne. Dieses Mal hat Dr. Gläubig keine guten Nachrichten. Er bestätigt die Auskunft des Stahl-Händlers, dass mit dem Wiederaufleben der Forderung auch die Bürgschaftsschuld wieder auflebt, wenn er als Bürge keine Enthaftungserklärung durch den Stahl-Händler vorweisen könne. Es sei wichtig, dass nach dem Erlöschen der Forderung auch der Bürgschaftsvertrag durch eine Enthaftungserklärung des Gläubigers beendet wird. Ohne eine Enthaltungserklärung dürfen kaufmännische Bürgen die Bürgschaft nicht ausbuchen und haben aber auch als Bank oder Kautionsversicherer dann einen Anspruch auf Avalprovision gegen Hauptschuldner als Auftraggeber. Vor allem der Hauptschuldner sollte sich daher um eine Enthaftungserklärung bemühen, damit er Avalprovision sparen und so das Risiko einer Inanspruchnahme durch den Bürgen – es handelt sich ja letztlich um einen Eventuell-Kredit – vermeiden kann.

Wie ging die Geschichte aus?

Dank guter anwaltlicher Beratung konnte Hans Protz nach dem Verkauf seines Unternehmens eine Privatinsolvenz gerade noch abwenden und ist ohne Schulden, aber auch ohne Vermögen aus der Angelegenheit herausgekommen. Nach Anlieferung des Cabrios ist seine zweite Frau mit seinem technischen Leiter auf und davon gefahren und wurde nicht mehr gesehen. Hans Protz kehrte reumütig zu seiner ersten Ehefrau zurück und ist vorerst als einfacher kaufmännischer Angestellter im mittlerweile durch seine erste Frau gegründeten Unternehmen tätig. Für den Fall seiner Bewährung als Ehemann wurde ihm eine Stelle als Prokurist durch seine erste Ehefrau und Chefin in Aussicht gestellt.

 

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