Es dürfte mittlerweile bekannt sein, dass die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche von Arbeitnehmern weder verfallen noch verjähren, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeiter nicht darauf hingewiesen hat, wie viele Urlaubstage ihnen in dem betreffenden Jahr (noch) zustehen, dass diese bis zum Jahresende zu nehmen sind, damit sie nicht verfallen und dass diese nur in Ausnahmefällen bis zum 31.03. des Folgejahres übertragen werden können.
Des Weiteren entspricht es mittlerweile gefestigter Rechtsprechung, dass bei Langzeiterkrankten der Urlaub nach Ablauf von 15 Monaten erlischt, wenn der Mitarbeiter seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig war. In einem solchen Fall kommt es auch nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die betreffenden Mitarbeiter auf ihre Urlaubsansprüche und den Verfall nach der 15 Monatsfrist hingewiesen hatte.
Allerdings stellte sich die Frage, wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn Mitarbeiter bereits einige Zeit in einem Kalenderjahr gearbeitet haben und dann dauerhaft bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis erkrankt sind. Mit einem solchen Fall hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 31.01.2023, 9 AZR 107/20, befasst. Dort war ein langjährig beschäftigter Mitarbeiter am 18.01.2016 dauerhaft erkrankt und blieb dies auch bis zu seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 28.02.2019. In dem dortigen Rechtsstreit forderte der Kläger Urlaubsabgeltung für das Jahr 2016.
In seinem Urteil vom 31.01.2023 hat das Bundesarbeitsgericht die bisherige Rechtsprechung weiterentwickelt und ausgeführt, dass in diesem Fall, wenn der Mitarbeiter im Verlauf des Bezugszeitraums gearbeitet hat, bevor er arbeitsunfähig erkrankt ist, der Urlaubsanspruch grundsätzlich nur dann nach Ablauf der 15 Monatsfrist verfallen kann, wenn der Arbeitgeber die Inanspruchnahme des Urlaubs zuvor in gebotener Weise ermöglicht hat. Der Arbeitgeber hat das Risiko, dass der Urlaub wegen einer im Urlaubsjahr eintretenden Krankheit nicht erfüllt werden kann, jedoch nur zu tragen, soweit er im Urlaubsjahr – tatsächlich – die Zeit hatte, seinen Obliegenheiten nachzukommen.
Erkrankt der Mitarbeiter wie im dortigen Fall zu einem so frühen Zeitpunkt im Urlaubsjahr dauerhaft, dass er selbst bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch den Arbeitgeber seinen Urlaub nicht vollständig hätte nehmen können, bleibt ihm außerdem nach Ablauf der 15 Monatsfrist nur die Anzahl an Urlaubstagen erhalten, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Möglichkeit des Arbeitgebers, seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachzukommen, bis zum Eintritt seiner Erkrankung erfüllt werden konnte.
Hätte der Arbeitgeber also den Mitarbeiter direkt am ersten Arbeitstag des neuen Jahres über seine Urlaubsansprüche ordnungsgemäß belehrt, hätte der betreffende Mitarbeiter, der am 18.01.2016 dauerhaft erkrankt ist, zumindest noch einen Teil seiner Urlaubstage nehmen können. Da der Arbeitgeber diese Belehrung aber nicht vorgenommen hat, steht dem Mitarbeiter insoweit ein Abgeltungsanspruch zu.
Für die Praxis bedeutet dies folgendes:
Daher ist Arbeitgebern zu empfehlen, direkt zu Beginn des neuen Jahres die Mitarbeiter entsprechend über ihre Urlaubsansprüche zu informieren, so dass nicht immer weiter Urlaubstage angesammelt werden, die dann zu einem späteren Zeitpunkt noch genommen werden können oder aber bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abzugelten sind.