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Die Pflichtteilsgeltendmachung als erbschaftsteuerliches Gestaltungsmittel

Wenn bisweilen schon die Anregung des Beraters, die Vermögensnachfolge zeitgerecht vorzubereiten, als „Tabu-Bruch“ verstanden wird, so gilt dies umso stärker, nähert sich der Berater dem Erben mit der Anregung, doch gegebenenfalls die Erbschaft aus steuerlichen Gründen auszuschlagen oder aber aus steuerlichen Gründen einen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Und dennoch: Die Überlegungen des Beraters können durchaus so attraktiv sein, dass man sich dem Gedanken nicht verschließen sollte. Die (Rechts)Wirklichkeit des eigenen Todes, aber auch die Mechanismen der Ausschlagung und Pflichtteilsgeltendmachung sollten mit der gleichen sachlichen Distanz bewertet werden, wie nachher die Finanzverwaltung den monetären Abfluss von Erbschaftsteuern als sachliche Realität bewerten wird: Wer aber Liquidität sparen möchte, der sollte auch ungewohnt empfundene Wege gehen:

Grundsätzlich gilt, dass der Erbe die erfahrene Zuwendung nach Abzug etwaiger Steuerverschonungen oder (persönlicher) Freibeträge mit Erbschaftsteuer zu belasten hast. Allerdings zielt das Erbschaftsteuerrecht auf die persönliche Bereicherung des Empfängers ab, so dass mit der Zuwendung einhergehende Verpflichtungen, die der Erwerber zu erfüllen hat, den steuerpflichtigen Erwerb kürzen.

Zu solchen Verpflichtungen gehören auch geltend gemachte Pflichtteilsansprüche, § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG. Alleine die Existenz eines solchen Anspruchs reicht demgegenüber nicht aus.

Ein Pflichtteilsanspruch kommt immer dann in Betracht, wenn eine pflichtteilsberechtigte Person (das sind grundsätzlich die Eltern, der Ehegatte und Abkömmlinge des Erblassers, § 2302 BGB) im Zeitpunkt des Todes nicht oder nicht ausreichend bedacht wurde. Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass – verfassungsrechtlich geschützt – gewisse Familienmitglieder nicht vom Erbgang ausgeschlossen werden können, auch nicht wertmäßig. Daher gewährt der Gesetzgeber diesen Personen einen geldwerten Anspruch gegenüber den Erben auf wertmäßige Beteiligung in Höhe von der Hälfte deren gesetzlichen Erbteils. Bei in Zugewinngemeinschaft lebenden Eheleuten mit zwei Kindern würde also der Ehegatte als Erbe gesetzlich zu 1/2 am Nachlass beteiligt werden, so dass er als Pflichtteil einen Geldanspruch gegen den Nachlass in Höhe von 1/4 hätte, während jedes Kind mit 1/4 als gesetzlicher Erbe bedacht würde, folglich der Pflichtteilsanspruch 1/8 des Nachlasswertes betrüge.

Wie eingangs erwähnt, wünscht man sich selbstverständlich als Erblasser, dass es keine Pflichtteilsstreitigkeiten gibt. Allerdings geht die Pflichtteilsgeltendmachung nicht zwingend mit Streitereien einher, nämlich dann, wenn der Erbfall erbschaftsteuerlich optimiert werden kann und alle Beteiligten mitziehen:

Stellt man sich z.B. vor, was häufig der Fall ist, dass die Senioren ein so genanntes Berliner Testament gefertigt haben, wonach der längstlebende Ehepartner Alleinerbe ist und die Kinder zu Schlusserben berufen sind, so entsteht automatisch mit dem Todesfall des Erstversterbenden ein pflichtteilsrechtlicher Anspruch der Kinder, da diese Kraft testamentarischer Verfügung „enterbt“ wurden. Stellt nun der Erbe fest, dass das Berliner Testament eigentlich nicht die geeignete Nachfolgegestaltung war, da genügend Vermögen zur Alterssicherung des Längstlebenden vorhanden ist und daher eine Zuwendung an die Kinder ebenfalls sinnvoll gewesen wäre, dann kann sich die Familie bei geeignetem Geleit durchaus dahingehend verständigen, dass die Kinder ihren Pflichtteilsanspruch gegenüber dem Alleinerben geltend machen, um auf diese Weise letztlich Zuwendungen vom Erblasser zu erhalten, was die Ausnutzung des persönlichen Freibetrages seitens des Erblassers trotz „verunglückter testamentarischer Verfügung“ ermöglicht.

Selbst dann, wenn der längstlebende Ehegatte versterben sollte, aber die Verjährungsfrist der Pflichtteilsgeltendmachung gegenüber dem Erstversterbenden noch nicht abgelaufen ist (die Frist beträgt drei Jahre), kann die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs gegenüber dem längstlebenden Ehegatten wegen der „enterbenden“ testamentarischen Verfügung des Erstversterbenden steuerlich sinnvoll sein. Dies hat der BFH in seiner Entscheidung vom 19.02.2013 kürzlich bestätigt.

 

Zivilrechtlich fallen zwar der Pflichtteilsanspruch und der Nachlass, gegen den sich der Pflichtteilsanspruch richtet, in der Person des Pflichtteilsberechtigten und zugleich Schlusserben nach den beiden Senioren zusammen. Der Pflichtteilsanspruch richtet sich also gegen den Pflichtteilsberechtigten selbst, was zivilrechtlich zu einer Konfusion des Anspruchs und der Verbindlichkeit führt.

Erbschaftsteuerlich akzeptiert der BFH aber diese Pflichtteilsgeltendmachung als einen den Erben (hier: dem Längstlebenden) belastenden Anspruch, der sich gegen den Nachlass nach dem Erstversterbenden richtet, folglich dort zur Kürzung des steuerpflichtigen Erwerbs führt und zugleich auch für den Pflichtteilsberechtigten eine Zuwendung seitens des Erstversterbenden darstellt. Die persönlichen Freibeträge gegenüber dem Erstversterbenden können auf diese Weise trotz der ungünstigen testamentarischen Verfügung doch noch ausgenutzt werden, was zu einer erheblichen Steuerersparnis führen kann.

Beispielsfall: Vater und Mutter haben jeweils ein Vermögen von 2 Mio. EUR. Sie sind in Zugewinngemeinschaft verheiratet. Es existiert ein Berliner Testament, wonach die Mutter nach dem Vater Alleinerbin wird. Schlusserbe soll die geliebte Tochter werden.

Zwei Jahre nach dem Tod des Vaters verstirbt auch die Mutter.

Überschlägige Erbschaftsteuerbelastung (ohne Gestaltung):

 

1. Erbfall
Vermögen Vater                                                                    2.000.000,00 EUR
Erwerb durch Mutter 2.000.000,00 EUR
./. persönlicher Freibetrag (nach Vater) 500.000,00 EUR
 zu versteuern 1.500.000,00 EUR
Steuerlast, 19 % 285.000,00 EUR
2. Erbfall
Vermögen Mutter, eigenes 2.000.000,00 EUR
geerbt von Vater (abzüglich Steuerlast) 1.715.000,00 EUR
Erwerb durch Tochter  3.715.000,00 EUR
 ./. persönlicher Freibetrag (nach Mutter)                                                                                           400.000,00 EUR
zu versteuern  3.315.000,00 EUR
Steuerlast, 19 % 629.850,00 EUR
Gesamtsteuerlast: 914.850,00 EUR

 

Alternative (bei Pflichtteilsgeltendmachung durch Tochter innerhalb der 3-Jahres-Frist)

 

1. Erbfall
Vermögen Vater                                                                      2.000.000,00 EUR
Erwerb durch Mutter  2.000.000,00 EUR
./. Pflichtteilsanspruch Tochter, 1/4  500.000,00 EUR
./. persönlicher Freibetrag 500.000,00 EUR
zu versteuern 1.000.000,00 EUR
Steuerlast, 19 % 190.000,00 EUR
Erwerb Tochter (Pflichtteil) 500.000,00 EUR
./. persönlicher Freibetrag (nach Vater) 400.000,00 EUR
 zu versteuern 100.000,00 EUR
Steuerlast, 11 %  11.000,00 EUR
2. Erbfall
Vermögen Mutter, eigenes 2.000.000,00 EUR
Geerbt von Vater (abzüglich Steuerlast u. Pflichtteil) 1.310.000,00 EUR
Erwerb von Tochter 3.310.000,00 EUR
./. persönlicher Freibetrag 400.000,00 EUR
zu versteuern  2.910.000,00 EUR
Steuerlast,19 %  552.900,00 EUR
Gesamtsteuerbelastung 753.900,00 EUR
ERSPARNIS 160.950,00 EUR
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