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Arbeitsrecht: Urlaubsansprüche im Wandel der Rechtsprechung

Frage 1: Verfall bei längerer Krankheit?

Bekanntlich hat der Gesetzgeber in § 3 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) einen Mindesturlaubsanspruch von 24 Werktagen/Jahr vorgesehen (ausgehend von einer 6-Tage-Woche), wobei als Werktage alle Kalendertage gelten, die nicht Sonn- oder gesetzliche Feiertage sind. Bei einer 5-Tage-Woche steht einem Arbeitnehmer demzufolge ein gesetzlicher Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen/Jahr zu.

Nicht selten wird allerdings Mitarbeitern im Arbeitsvertrag ein über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehender Urlaubsanspruch zugebilligt (sog. Mehrurlaub).

Gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertragung muss der Urlaub in den ersten 3 Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden, andernfalls verfällt er regelmäßig.

Nun kommt es aber in der Praxis immer wieder vor, dass Mitarbeiter langfristig erkranken und ihren Jahresurlaub nicht oder zumindest nicht vollständig im laufenden Kalenderjahr bzw. im 1. Quartal des Folgejahres (Übertragungszeitraum) nehmen können und erst danach wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Der EuGH hat bereits in der Schultz-Hoff-Entscheidung vom 20.01.2009 klargestellt, dass ein Erlöschen des europarechtlich gewährleisteten Mindesturlaubs ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist und aus diesem Grunde seinen Urlaub vor Ablauf des Bezugszeitraums (Kalenderjahr) und des Übertragungszeitraums nicht nehmen kann.

Allerdings kann ein Urlaubsanspruch bei langfristiger Erkrankung des Arbeitnehmers auch nicht unbegrenzt lange in die Folgejahre übertragen werden. In der KHS-Entscheidung aus November 2011 hat der EuGH daher klargestellt, dass bei einer langdauernden Arbeitsunfähigkeit Urlaubsansprüche maximal bis zu 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Bezugszeitraums übertragen werden können. Dieser Ansicht hat sich mittlerweile auch das Bundesarbeitsgericht angeschlossen, d.h. am 31. März des zweiten Folgejahrs erlischt auch dieser Urlaubsanspruch, wenn er bis dahin nicht genommen worden ist. 

 

Frage 2: Was geschieht beim Wechsel von Voll- in Teilzeit?

Ein weiteres Thema ist die Frage, wie es sich auswirkt, wenn ein Mitarbeiter während des laufenden Kalenderjahres von einer Vollzeittätigkeit in eine Teilzeittätigkeit wechselt.

In einem jüngst entschiedenen Fall (BAG, Urteil vom 10.02.2015, Aktenzeichen 9 AZR 53/1) ist das Bundesarbeitsgericht dem Kläger gefolgt und hat entschieden, dass eine Absenkung der Urlaubsansprüche wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften unwirksam sei, soweit sie die Zahl der während einer Vollzeittätigkeit erworbenen Urlaubstage mindere. Die Reduktion wirke erst ,,ex nunc“.

 

Frage 3: Was geschieht im Falle des Todes mit dem Resturlaubs-Anspruch?

Nun kann es passieren, dass einem Arbeitnehmer noch Urlaubsansprüche zustehen, er aber überraschend verstirbt und diese dementsprechend nicht mehr nehmen kann. Hier lässt sich der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 12.06.2014 – Bollacke), entnehmen, dass sich zumindest der europarechtlich gewährleistete Mindesturlaub von 4 Wochen bzw. der hiervon noch nicht erfüllte Resturlaub mit dem Tod des Arbeitnehmers – unabhängig von einer Urlaubsbeantragung im Vorfeld – in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umwandelt und dieser auf die Erben des Arbeitnehmers übergeht. Dieser Ansicht, dass kein vorheriger Urlaubsantrag erforderlich ist, folgt das LAG Berlin-Brandenburg mit seiner Entscheidung vom 12.06.2014 auch in dem Fall, dass der Urlaub wegen einer (nicht todesbedingten) Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann und daher abzugelten ist.

 

Frage 4: Welche Gestaltungsmöglichkeiten hat der Arbeitgeber?

Bei der Formulierung von Arbeitsverträgen ergeben sich gerade aus Arbeitgebersicht folgende Gestaltungsmöglichkeiten.

 a)

Wie bereits ausgeführt, betrifft diese zuvor erwähnte Rechtsprechung den gesetzlichen Mindesturlaub, d.h. der übergesetzliche Mehrurlaub, der häufig gewährt wird, ist im Arbeitsvertrag frei regelbar. Diesbezüglich könnte z.B. bestimmt werden, dass der übergesetzliche Mehrurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder eines bestimmten Übertragungszeitraumes verfällt, und/oder dass mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses der übergesetzliche Mehrurlaub ersatzlos erlöschen und weder gegenüber dem betreffenden Arbeitnehmer noch gegenüber dessen Erben abzugelten sein soll.

 

b)

Des Weiteren finden mittlerweile in Abweichung von der früheren Rechtsprechung auf Urlaubsabgeltungsansprüche auch wirksam vereinbarte Ausschlussfristen Anwendung, da es sich bei diesen um reine Geldansprüche handelt.

 

c)

Während des laufenden Arbeitsverhältnisses ist Arbeitgebern jedenfalls zu raten, darauf zu achten, dass Urlaubsansprüche jeweils im laufenden Kalenderjahr, spätestens jedoch bis zum Ablauf des Übertragungszeitraums in natura erfüllt

 

d)

Beabsichtigt ein Mitarbeiter z.B. unbezahlten Sonderurlaub (Sabbatical) zu nehmen, kann es sich empfehlen, mit diesem einen Aufhebungsvertrag zu schließen, der gleichzeitig mit einem Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers verbunden wird. Dies verhindert, dass in der Zeit des Sonderurlaubs weitere Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers entstehen, die der Arbeitgeber dann zu einem späteren Zeitpunkt gewähren müsste bzw. bei einem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis abzugelten hätte.

 

e)

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sollte der Arbeitgeber darauf achten, bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung gleich mit zu regeln, dass der Urlaub noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses in natura genommen wird.

 

f)

Schließen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, dann sollte dort geregelt werden, an welchen Tagen dem Arbeitnehmer der ihm noch zustehende Resturlaub konkret gewährt wird. Gleiches gilt für den Fall, wenn der Arbeitnehmer mit Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages von der Arbeitsleistung freigestellt werden soll und noch restliche Urlaubsansprüche bestehen.

 

g)

Allerdings ist zu beachten, dass auf entstandene tarifliche Rechte nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG nicht verzichtet werden kann, sondern dies nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig ist. Dieses ,,Problem“ lässt sich jedoch häufig durch einen Tatsachenvergleich lösen, wonach sich die Parteien darüber einigen, dass der gesamte Erholungsurlaub bereits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses in natura gewährt und genommen worden ist.

 

 

Wie man sieht, ist das Urlaubsrecht ein interessantes und einem ,,europäischen“ Paradigmenwechsel unterworfenes Rechtsgebiet. Insofern ist sinnvollerweise bereits bei der Gestaltung des Arbeitsvertrages, spätestens aber wenn ein Mitarbeiter bereits seit einiger Zeit Urlaubsansprüche ansammelt, fachkundiger Rat in Anspruch zu nehmen, um die Interessen an einem verantwortungsvollen Umgang mit Urlaubsansprüchen zu harmonisieren.

 

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