Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH gehört zu den regelmäßig praxisrelevanten, zugleich aber rechtlich komplexen Fragen. Sie berührt die Schnittstelle zwischen Gesellschaftsrecht und Sozialversicherungsrecht und ist für die betroffenen Personen sowie für die Gesellschaft von erheblicher Bedeutung – nicht zuletzt wegen der finanziellen Folgen einer möglichen Versicherungspflicht.
Grundlagen
Zentrale Norm ist § 7 Abs. 1 SGB IV, wonach eine abhängige Beschäftigung die persönliche Abhängigkeit und Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation voraussetzt. Demgegenüber ist selbstständig tätig, wer nicht weisungsgebunden ist und über die Art und Weise seiner Tätigkeit im Wesentlichen frei entscheiden kann. Für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung sind insbesondere die Höhe der Kapitalbeteiligung sowie die sonstigen gesellschaftsvertraglich eingeräumten Gestaltungs- und Verhinderungsrechte aus der Satzung maßgeblich. Andere außerhalb der Satzung bestehende wirtschaftliche Verflechtungen, Stimmbindungsabreden oder Veto-Rechte bleiben bei der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung unberücksichtigt.
Mehrheitsbeteiligung als Regelfall der Selbstständigkeit
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein Gesellschafter-Geschäftsführer regelmäßig dann als selbstständig einzustufen, wenn er über eine Kapitalbeteiligung von mehr als 50 % verfügt. In diesem Fall kann er regelmäßig Gesellschafterbeschlüsse eigenständig herbeiführen oder verhindern und unterliegt damit keiner gesellschaftsinternen Weisungsbefugnis. Die gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht führt daher grundsätzlich zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit.
Minderheitsbeteiligung und gesellschaftsvertragliche Sonderrechte
Ist der Kapitalanteil geringer als 50 %, indiziert dies regelmäßig eine abhängige Beschäftigung, da der Gesellschafter-Geschäftsführer im Rahmen der Gesellschafterversammlung überstimmt werden kann. Eine abweichende Bewertung ist nur dann gerechtfertigt, wenn dem Gesellschafter-Geschäftsführer durch den Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“) Sperrminorität eingeräumt ist, die sämtliche wesentlichen Entscheidungen der Geschäftsführung betrifft. Einzelne Zustimmungsvorbehalte für bestimmte Rechtsgeschäfte – wie sie in vielen Gesellschaftsverträgen üblich sind – reichen hierfür nicht aus.
Exakt 50 % Beteiligung – Paritätische Konstellationen
Bereits eine exakt hälftige Beteiligung kann daher ebenfalls ausreichen, um eine selbstständige Tätigkeit anzunehmen, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer in der Lage ist, unliebsame Beschlüsse zu blockieren oder maßgeblich zu beeinflussen.
Auch faktische Pattsituationen können einer hälftigen Beteiligung gleichgestellt werden. So etwa im Fall des LSG Hessen, in dem zwei Gesellschafter jeweils ein Drittel der Anteile hielten, das restliche Drittel jedoch von der GmbH selbst gehalten wurde. Da die Gesellschaft aus eigenen Anteilen keine Stimmrechte ausüben konnte (§ 71b AktG), ergab sich faktisch eine 50/50-Verteilung der Stimmrechte – mit der Folge, dass eine selbstständige Tätigkeit bejaht wurde (LSG Hessen, Urt. v. 31.10.2019 – L 1 KR 502/18).
Rolle von gesellschaftsvertraglichen Regelungen
Letztlich kommt es also stets auf die tatsächliche Rechtsmacht an, wie sie auch gesellschaftsvertraglich ausgestaltet ist. Enthält der Gesellschaftsvertrag etwa eine Regelung zur Stichentscheidung, gilt nur der Gesellschafter mit dieser Befugnis als selbstständig, da nur er über die entscheidende Einflussmöglichkeit verfügt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 27.6.2024 – L 12 BA 11/23; SG Landshut, Urt. v. 11.1.2024 – S 1 BA 23/23). Aus den gleichen Gründen kann daher auch bei Kapitalmehrheit eine vertraglich geregelte Weisungsgebundenheit die Annahme von Selbstständigkeit ausschließen.
Kritik an der jüngsten Entscheidung des SG Neubrandenburg
Einzelne Entscheidungen, wie etwa der Gerichtsbescheid des SG Neubrandenburg vom 10.9.2024 (S 7 BA 7/23), weichen hiervon ab. Trotz hälftiger Beteiligung verneinte das Gericht die Selbstständigkeit, da dem Geschäftsführer keine „aktive Steuerungsmöglichkeit“, sondern lediglich ein Blockaderecht zukomme. Diese Argumentation steht im Widerspruch zur gefestigten Rechtsprechung des BSG, wonach bereits die Fähigkeit zur Verhinderung unliebsamer Beschlüsse eine selbstständige Tätigkeit begründen kann. Das SG verkennt damit die Bedeutung von Verhinderungsrechten als Ausprägung unternehmerischer Rechtsmacht. Die Entscheidung erging ohne mündliche Verhandlung und lässt eine vertiefte Auseinandersetzung mit der BSG-Rechtsprechung vermissen. Gegen den Gerichtsbescheid wurde Berufung eingelegt (LSG Mecklenburg-Vorpommern – L 4 BA 13/24), sodass insoweit noch keine abschließende Klärung vorliegt.
Fazit
Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Gesellschafter-Geschäftsführern erfordert stets eine sorgfältige Analyse der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse. Maßgeblich ist nicht allein die Höhe der Kapitalbeteiligung, sondern die damit verbundene Rechtsmacht. Zur Absicherung im Einzelfall kann ergänzend ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung sinnvoll sein, um frühzeitig Rechtssicherheit zu schaffen, ersetzt jedoch nicht die sorgfältige gesellschaftsvertragliche Gestaltung. Die jüngere Rechtsprechung der Landessozialgerichte orientiert sich weitgehend an den Maßstäben des BSG, während vereinzelte Abweichungen – wie die des SG Neubrandenburg – bislang nicht überzeugen konnten. Für die Praxis bleibt damit klar: Die genaue Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags ist entscheidend.