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Vom Sumpf zur Felsspalte

Zur Entwicklung der Haftung von Vorständen und Geschäftsführern

 

Mit Urteil vom 12.10.2016 hat der 5. Senat des Bundesgerichtshofs in Strafsachen unter dem Aktenzeichen 5 STR 134/15 ein durchaus beachtenswertes Urteil zu Untreuehandlungen durch Vorstände und Geschäftsführer (Geschäftsleiter) gefällt. Im Urteil ging es darum, wann ein Verstoß gegen das Aktiengesetz oder GmbH-Gesetz zur Strafbarkeit wegen Untreue führt.

Bislang war es so: Der 1. Strafsenat des BGH hatte zumeist geurteilt, dass nur gravierende Verstöße gegen Pflichten aus dem Aktiengesetz oder GmbH-Gesetz zur Verurteilung wegen Untreue führen. Pflichtverletzungen von Geschäftsleitern konnten daher bislang meist ,,intern“ – ohne Strafverfolgungsbehörden – zivilrechtlich geklärt werden. Zivilrechtlich, das bedeutete in der Regel eine Schadensersatzforderungen in Geld gegen den oder die betroffenen Geschäftsleiter, aber eben keine strafrechtliche Verurteilung.

Nunmehr: Der 5. Strafsenat will eine einheitliche Bewertung nach zivilrechtlichen wie auch strafrechtlichen Haftungsmaßstäben sicherstellen. Das mag sich zunächst plausibel anhören, kann im Alltag für Geschäftsleiter jedoch zu schmerzhaften Erfahrungen führen:

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nimmt in seinem Urteil Bezug auf die für Vorstände von Aktiengesellschaften und in analoger Anwendung auch für Geschäftsführer von GmbHs geltende Regelung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Diese Vorschrift bestimmt, wann eine Pflichtverletzung nicht vorliegt, nämlich dann, wenn „das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“. Maßgeblich ist also, ob sich der Vorstand oder Geschäftsführer ausreichend Informationen für seine Entscheidung eingeholt hat.

Bevor dem Leser nun die Schweißperlen auf die Stirn treten: Nicht jeder Verstoß gegen die Informationsbeschaffungspflicht löst bereits eine zivilrechtliche Pflichtverletzung und strafrechtliche Untreue aus. Allerdings indiziert, so die Ansicht des 5. Strafsenats, der Verstoß gegen § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, also eine unzureichend eingeholte Informationen, eine strafrechtliche Pflichtverletzung. Jedoch sei diese, die zu einer Verletzung der Sorgfaltspflichten nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbH-Gesetz führt, immer nur dann zu bejahen, wenn ein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln oder Geschäftsführerhandeln vorliege. Der Leitungsfehler müsse sich einem Außenstehenden förmlich aufdrängen. Dieser Maßstab galt bisher nur für die strafrechtliche Relevanz; er soll nun auch für die zivilrechtliche Haftung gelten.

Dreh- und Angelpunkt ist also der Umfang einzuholender Informationen durch den Geschäftsleiter. Damit ein Geschäftsleiter seiner Pflicht zur Einholung von Informationen genügt, müssen grundsätzlich in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art, ggfs. bis hin zu einer rechtlichen, steuerlichen oder wirtschaftlichen Beratung, ausgeschöpft werden, um auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen.

Die konkrete Entscheidungssituation für den Geschäftsleiter ist danach der Bezugsrahmen für das Ausmaß der Informationspflichten. Dementsprechend ist es notwendig aber auch ausreichend, dass sich der Geschäftsleiter eine unter Berücksichtigung des Faktors Zeit, der Abwägung der Kosten und dem Nutzen weiterer Informationsgewinnung eine angemessene Tatsachenbasis verschafft. Je nach Bedeutung der Entscheidung einer Geschäftsleitung ist auch eine sehr breite Informationsbasis rechtlich zu fordern, um einer zivilrechtlichen und strafrechtlichen Haftung aus dem Wege zu gehen.

Es gibt nach der neuen Rechtsprechung des 5. Strafsenats faktisch keinen zweiten Versuch. Entweder die Pflichten sind erfüllt oder nicht. Maßgeblich ist, dass der Vorstand dies aus objektiver Sicht vernünftigerweise annehmen durfte. Die subjektive Wahrnehmung ist somit hier der größte Feind, denn: Die Beurteilung des Vorstands oder Geschäftsführers im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung muss aus der Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters in der konkreten Situation vertretbar erscheinen.

Während sich der Geschäftsleiter früher also – bildlich gesprochen – eher in einem zähen und beschwerlichen Sumpf mit stets feuchten Füßen bewegte, läuft er nunmehr meist auf festem, trockenen Boden, fällt aber bei einem Fehltritt dann auch direkt – neben einer zivilrechtlichen Haftung – in die strafrechtliche Felsspalte.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die nunmehr gegebene Schwarz-Weiß-Betrachtung im Alltag einige Auswirkungen hat: Die Schadenseintrittswahrscheinlichkeit ist zwar leicht geringer, allerdings ist die Auswirkung des Schadens für den Vorstand oder Geschäftsführer bei Eintritt weitaus größer. Diese sollten ihre Risikoplanung sorgfältig überdenken und hierbei ggfs. nicht an fachkundiger Beratung sparen.

Abzuwarten bleibt, ob die von der Rechtsprechung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs abweichende Rechtsprechung Bestand haben wird. Verfassungsrechtliche Bedenken sind durchaus angebracht. Bis zu dieser Klärung sollten Vorstände und Geschäftsführer genug Sorgfalt walten lassen.

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